Montag, 27. Juni 2005

Zug fahren

Letztes Wochenende war ich wieder mal mit dem Zug unterwegs in Richtung alter Heimat.
Ich bin ja von früher schon einiges gewohnt, was das Zugfahren betrifft, aber diese Zugfahrt hat alles bisher erlebte übertroffen.

Weltfremd wie ich bin, dachte ich mir, dass Freitag Nachmittag nicht so viele Leute im Zug fahren würden - alle die zum Donauinselfest wollten, wären sicher schon am Vormittag gefahren - dachte ich...
Wir kommen also am Bahnhof an und schon beim Schalter stehen ungewöhnliche viele Leute mit Rucksäcken und alle kaufen sich das gleiche Ticket wie ich - das 7 Euro Ticket von der ÖBB.
Am Bahnsteig: Lauter kleine, halbstarke Kinder mit Bierkisten und Vodkaflaschen, ein Mädchen mit rosaroten Plüschohren und einem rosaroten Plüschschwanz dran und pseudoalternative pseudo FM4 Hörer mit pseudoalternativer Musik aus ihren Radios
Nachdem ich genug davon gesehen hatte, hab ich mir gedacht, dass es für meine Nerven und die Überlebenschancen der Kinder besser ist, erst am nächsten Morgen mit dem nächsten Zug zu fahren.

Am nächsten Morgen bin ich um 8 Uhr am Bahnhof gestellt, um dem nächsten Schub von Möchtegernpinkpanthas aus dem Weg zu gehen. Anstatt von kleinen, pubertierenden Zwergen stehen am Bahnsteig circa 1 Million Pensionisten - noch sind sie aber als arme, kranke Omas und Opas getarnt. Als der Zug einfährt ändert sich das schlagartig: Die Pensionisten die so friedfertig ausgesehen haben verwandeln sich plötzlich in Kampfmaschinen. Hinter mir steht eine Frau die beinahe auf mich eingeschlagen hat, weil sie Angst hatte, der Zug würde ohne sie fahren. Endlich im Zug - endlich ein Sitzplatz.
Die Schlägerfrau schimpft mit mir: "Na sie habens notwendig in Ihrem Alter sich hin zu setzen"
Ich sehe mich um und sehe, dass noch massig andere Sitzplätze frei sind: "So wie sie zerst zum Zug gelaufen sind und mich gedrängt haben, glaub ich nicht, dass sie so dringend einen Sitzplatz brauchen..."
"Diese Jugend...."
Neben mir sitzt ausnahmsweise jemand der nicht knapp vor der Verwesung ist - ein kleiner, netter Asiate.
Neben dem sitzen wieder nur Pensionisten.
Hintere Frau: “Wissen sie vielleicht wie man den Sitz nach hinten klappen kann?”
Vordere Frau: “Na da kann ich ihnen leider auch ned weiter helfen!”
Der kleine Asiate (zur vorderen Frau): “Da links haben Sie einen Hebel”
Vordere Frau (tut so als hätte sie nichts gehört und dreht sich nach hinten): “Schaun's jetzt hab ich's entdeckt, da links gibts so einen Hebel...”

Am Sonntag Abend mach ich mich wieder auf den Heimweg. Vom Handelskai bis nach Hütteldorf nehm ich zum ersten mal in meinem Leben die Schnellbahn – ich hab immer geglaubt die U1 wär die schlimmste Linie aller Zeiten.
Eine Horde von kleinen, türkischen Burschen steigt ein – sie sprechen sehr gebrochen Deutsch und hören Musik – A klana Indiana – in der Endlosschleife....

In Hütteldorf steig ich dann in den Zug Richtung Hamburg – alle Abteile voll mit Betrunkenen – nur das eine nicht...
Neben mir sitzen zwei Tussis (Tante und Nichte) und unterhalten sich darüber wie schlecht nicht die Männer sind und wie allein sie nicht sind und dass sie so einsam sind und das die Welt so schlecht ist und das man sowieso keine echten Freunde hat usw.
Die beiden fahren mit dem Zug bis Frankfurt und fliegen von dort dann noch New York – für einen Monat.
Ein paar Gesprächsfetzen (Elfriede Ott hat eine Biografie geschrieben mit dem Titel: “Ich hätte mitschreiben sollen” - das hätte ich auch tun sollen)

Wir fahren gerade aus Wien raus – ungefähr Höhe Purkersdorf...
Nichte: Simma jetzt eigentlich schon in Niederösterreich oder noch in Oberösterreich?

Nichte: Wo is Frankfurt eigentlich?
Tante: Ich glaub des is schon ganz oben beim Meer...

Tante: Weißt wo ma auch mal hinfahren könnten, nach Bangkok, des würd ich gern amal sehn...
Nichte: Nein ich glaub das halt ich ned aus, die Armut dort – da will ich lieber mal nach Afrika...

Der krönende Abschluss... oder die Selbsterkenntnis...
Die Nichte gibt der Tante ein Buch über die Weisheiten des Dalai Lama. Die Tante liest eine Weile.
Tante: Ich versteh ned warum der immer schreibt man muss alles wissen...
Nichte: Was nutzt's einem alles zu wissen wenn wir's eh nicht anwenden können...

Gott sei Dank ertönt dann das ÖBB-Schaffner-Englisch in den Lautsprechern...
Ledis end tschentlmen aua next stop linz hauptbahnhof wi wisch ju äh plesent tschörni
KarinW - 27. Jun, 19:44

Gnade, ich heul schon vor lachen. wobei ... eigentlich sollt ich weinen, weil ich ja nächste Woche von Nürnberg auch mit der Bahn heimfahren muss ....

questionmark - 29. Jun, 08:59

gute Story, AgentR!

Ich fahr heute Abend mit dem Liegewagen ein paar Tage zur Bienale nach Venedig mit 2 Agents und 3 unbekannten Personen. Das kann ja heiter werden.

Die Durchsagen im Zug sind soooo schlecht, dass ich mich beinahe darauf freue :-)

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